Mitgenommen - Aufwachsen zwischen zwei Welten

Drittes Buch zur Gastarbeitergeschichte veröffentlicht

 

Jugendprojekt mit beeindruckendem Buch und Ausstellung

 

Mit über einjähriger coronabedingter Verzögerung konnte das Netzwerk Jugendhaus Buer gemeinsam mit den beteiligten Jugendlichen und Interviewpartnerinnen und -partnern die Ergebnisse des dritten Projektes zur lokalen Gastarbeitergeschichte vor über 80 geladenen Gästen präsentieren.

Nach „Angekommen – Buer und seine Gastarbeiter“ und „Nachgekommen – Frauen in der Gastarbeitergeschichte“ thematisiert der dritte Band mit dem Titel „Mitgenommen – Aufwachsen zwischen zwei Welten“ das Erleben der Kinder aus der damaligen Zuwanderungszeit. Zahlreiche Zeitzeugen wurden von der jungen Projektgruppe ausführlich befragt. Ihre Lebenssituation, ihr Erleben und ihre ganz subjektiv erzählten Geschichten bilden auch in diesem Projekt den Ausgangspunkt des umfangreichen Buches. 

Die Projektgruppe besteht aus: Vildan Azattemür, Katharina Bastet, Hanna Bülow, Dilruba Çatal, Celine Hoffmann, Almera Šeh, Colin Weßler, Nisa Yildiz unter bewährter Leitung von Annegret Tepe. Die Verantwortung für das Gesamtprojekt liegt in den Händen von Ursula Thöle-Ehlhardt.

Bürgermeisterin Jutta Dettmann spannte in ihrer Begrüßung den Bogen zu den aktuellen Herausforderungen der Flüchtlingssituation: „Fehler von damals hängen uns heute noch nach. Ich habe die Hoffnung, dass wir aus den damaligen Fehlern heute lernen. Aber dafür sollten wir uns die Geschichten der zu uns gekommenen Menschen anschauen – und das macht ihr hier mit euren Büchern. Damit zeigt ihr uns, worüber wir auch heute wieder nachdenken müssen.“

Neben einer Videobotschaft des neuen Niedersächsischen Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe, Deniz Kurku, wandte sich die Generalkonsulin der Republik Türkei, Gül Özge Kaya, mit wertschätzenden Worten an die Projektgruppe und die geladenen Gäste. Sie erinnerte an das 60-jährige Bestehen des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei und betonte die freundschaftliche Verbundenheit der Länder, die in den vielen Jahren durch die Zuwanderung der Arbeitsmigranten entstanden sei. Solche wertvollen Projekte wie diese drei Buchbände mit jungen Menschen stellten eine Brückenfunktion dar. „Sie bringen Menschen miteinander direkt in Kontakt, schaffen Verständnis und Verständigung zwischen den Kulturen, aber auch zwischen den Generationen.“

In der kurzen Projekteinführung skizzierte Ursula Thöle-Ehlhardt den Kern der Veränderungen in den Familien damals: „Wir sind dann mal weg - aus Eltern werden Gastarbeiter, aus Gastarbeitern werden Eltern. Diese Entscheidungen hatten immer mit Trennungen zu tun: Trennung von Eltern, Trennung von Kindern, Trennung von Großeltern, Trennung von Geschwistern, Trennung von Freunden, von Nachbarn, von einem vertrauten Umfeld. Bei den Kindern war dies oft mit einem Hin und Her zwischen zwei Ländern, zwischen zwei Kulturen verbunden – gekoppelt an die Herausforderung zwischen diesen Welten eine eigene Identität zu finden.“

Michael Prior von der Friedel & Gisela Bohnenkampstiftung gratulierte der Projektgruppe zu einen wirklich ‚starken‘ Buch. Dass junge Menschen sich die Zeit nähmen, sich wertschätzend mit den Geschichten der Kinder der damaligen gastarbeiterinnen und Gastarbeiter zu beschäftigen, ihnen zuzuhören und ihre Themen mit viel Empathie weiter zu tragen, habe ich nachhaltig beeindruckt. Den Projektverantwortlichen sei es gelungen trotz der coronabedingten Unterbrechung die jungen Menschen immer wieder mitzunehmen und über diesen langen Zeitraum für das Projekt zu begeistern. Das Projekt sei ein wertvoller Beitrag für unsere Gesellschaft.

Thomas Ruff vom Vorstand der Volksbank zeigte sich in seinem Grußwort beeindruckt von dem Cover des Buches. „Dieses Foto der Mutter mit ihren vier Kindern drückt so Vieles aus, viel besser als alle Worte es beschreiben können: die Hoffnung und Zuversicht, so etwas wie Vorfreude und Erwartung, aber auch die Sorge und Skepsis, die Unsicherheit darüber, was sie erwartet und was kommen wird. Auch viele Worte können die Thematik dieses Buches nicht besser auf den Punkt bringen wie dieses Foto.“

„Ganz unterschiedliche Lebensläufe begegnen den Leserinnen und Lesern in diesem sehr persönlichen Buch“, betonte Ursula Thöle-Ehlhardt, „aber immer wieder geht es um Brüche in den Biografien, um ein Hin und Her zwischen zwei Welten, um Trennungen und Neuanfänge, um Fremdbestimmung und Unsicherheit, wie und wohin der weitere Lebensweg geht. Es geht aber auch um neue Perspektiven, um Chancen und Kompetenzen, die es gilt zu nutzen.“

Nicht alles, was der jungen Arbeitsgruppe in den oft langen Gesprächen begegnete, war letztendlich für die Öffentlichkeit bestimmt, „aber wir sind sehr dankbar und beeindruckt von dem Vertrauen und dem Mut, uns diese persönlichen Geschichten anzuvertrauen und auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damit entsteht die Chance das Verstehen und die Verständigung zwischen den Kulturen, zwischen den Generationen und unterschiedlichen Lebensentwürfen zu fördern.“

Für die beteiligten Jugendlichen war die Präsentation ihres über drei Jahre laufenden Projektes ein besonderes Ereignis. Stolz nahmen sie ihre Bücher entgegen und nutzten die Gelegenheit, diese persönlich an die Interviewpartner des Projekts zu überreichen – für viele ein emotionaler Augenblick. Die geladenen Gäste zeigten sich beeindruckt von der begleitenden Ausstellung, in der sowohl die persönlichen Lebensgeschichten der damaligen Kinder aus den Gastarbeiterfamilien vorgestellt, aber auch übergreifende Themen präsentiert werden.

Das überaus stimmige und auf das Gesamtkonzept der Trilogie der drei Bände zur Gastarbeitergeschichte feinfühlig abgestimmte Layout und Design der Bücher und Ausstellungsmaterialien wurde in der Verantwortung von Lukas Ehlhardt im Austausch mit den beteiligten Jugendlichen entwickelt – auch ein besonderes Aushängeschild dieses Projektes.„Spätestens wenn man bei Instagram solch ein Projekt postet“, schlug Ursula Thöle-Ehlhardt zum Schluss den Bogen zu den sozialen Medien, kommt man dazu, es auch sachlich/fachlich einzuordnen - und zwar mit diesen so gerne genutzten Hashtags. Mir fallen dazu ein:

#jugendarbeit #gastarbeiter #zuwanderung #lebeninvielfalt #bildung #interkulturellebildung #integration #gesellschaftgestalten #lebeninvielfalt #jungundalt # altundjung #zusammenhalt #zuhörenkönnen #miteinandereden #heimat #heimatgeschichte #schreibwerkstatt #kultur #landleben #engagement #ehrenamt #jugendforscht… 

 An die jungen Leute gewandt beendete sie die Präsentation: „Auch wenn ihr vielleicht das Gefühl habt, ihr habt ja nur ein bisschen mit den Menschen geredet und ein bisschen etwas aufgeschrieben. Das alles, was ich eben erwähnt habe, gehört dazu - das alles habt ihr gemacht, bewegt und geleistet. Bewahrt euch dieses Interesse an den Menschen, bewahrt euch diese Eigenschaft zuzuhören und Interesse an anderen zu haben, euch für Menschen zu interessieren. Denn das ist vielleicht das Wichtigste, was ihr in dieser Gesellschaft braucht, was dazu beiträgt eine Gesellschaft in Vielfalt gemeinsam zu gestalten"

Ein Dank gilt allen Beteiligten, die an diesem Buch mitgewirkt haben, und den Unterstützern des Projektes, ohne die eine Umsetzung in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.