Nachgekommen - Frauen in der Gastarbeitergeschichte

Preisverleihung am 28. Mai 2019 in Wuppertal

„Mit dieser Preisverleihung sind wir auch mit unserem zweiten Buchprojekt zur Gastarbeitergeschichte in der Bundeliga der Auszeichnungen angekommen“, freut sich Uschi Thöle-Ehlhardt als Projektleiterin über die erneute Auszeichnung durch das Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt (BfDT) im bundesweiten Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz"2018. Vor über 100 Gästen im vollgefüllten Ratssaal des Rathauses in Wuppertal-Barmen wurden am 28. Mai 2019 acht Preisträgerprojekte aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ausgezeichnet.

Helge Lindh, Mitglied des Deutschen Bundestags und Patrick Siegele, Mitglied des Beirats des BfDT zeichneten die vorbildlichen und zur Nachahmung einladenden niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Preisträgerprojekte aus.bPatrick Siegele hob die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements hervor: „Demokratie findet vor Ort statt. Nicht nur in den Großstädten, gerade auch in kleinen Kommunen und auf dem Land brauchen wir zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für Demokratie und die Rechte von Minderheiten einsetzen."

„Nachgekommen – Frauen in der Gastarbeitergeschichte“ beschäftigt sich facettenreich mit den persönlichen Geschichten der Frauen, die im Zuge der Gastarbeiterbewegung nach Buer und Melle kamen. Während der zweijährigen Projektlaufzeit interviewten sechs Schülerinnen der Lindenschule Buer gemeinsam mit Annegret Tepe vom Jugendwagon dreizehn Frauen aus der ersten Gastarbeiter-Generation, sowie verschiedene Zeitzeuginnen aus dem Umfeld, die ihre Wahrnehmung der örtlichen Zuwanderungsgeschichte der Frauen vorstellen. Zu Wort kommen auch die Töchter, die einen sehr persönlichen Blick auf die Geschichte ihrer Mütter werfen. Helge Lindh sagte in seiner Laudatio: „Die Ausgezeichneten stehen für das Beste, was ehrenamtliches Engagement in diesem Land zu bieten hat, denn sie setzen das Vertrauen in und den Respekt vor dem Mitmenschen an die Stelle der Angst.“

Auf den Weg nach Wuppertal gemacht hatten sich als Vertreterinnen der Projektgruppe Annegret Tepe, Uschi Thöle-Ehlhardt (beide Netzwerk Jugendhaus Buer e.V.) und Birgit Meyer (Didaktische Leiterin der Lindenschule Buer) sowie Dr. Songül Kilic, Veronika Uhlmannsiek und ihre Tochter Susanne Reinhardt-Uhlmannsiek als Interviewpartnerinnen des Projektes. Extra angereist war auch Bürgermeister Scholz als Vertreter der Stadt Melle. 

Ursula Thöle-Ehlhardt sprach als Projektleiterin von dem hohen Wert des Projektes, das die Frauen, die eigentlich nie wirklich wahrgenommen wurden, in den Mittelpunkt rückt und ihnen eine Stimme und ein Gesicht gibt: „Diese Auszeichnung ist eine hohe Wertschätzung unserer Arbeit, der am Projekt beteiligten Schülerinnen, aber auch des Themas und vor allem der betroffenen Frauen.“ 

An die persönliche Geschichte ihrer Mutter, die als Analphabetin aus einen kleinen Bauerndorf nach Deutschland kam, erinnerte Dr. Songül Kilic: „Ich habe großen Respekt vor der Lebensleistung meiner Mutter, die trotz aller eigentlich unüberwindbaren Hindernisse nie aufgegeben hat und Unglaubliches für ihre Kinder leistete.“

Birgit Meyer von der Lindenschule Buer betonte den Wert des Projektes für die beteiligten Schülerinnen: „Das Projekt mit Schülerinnen trägt große Früchte und erweist sich als ausgesprochen wertvoll für die jungen Frauen. Sie bekommen einen Blick für andere, entwickeln sensibel und empathisch einen Zugang in andere Lebenswelten.“ Den Mut der jungen Frauen in dem Projekt beschrieb Annegret Tepe, die die Arbeitsgruppe über zwei Jahre begleitete: „Es ist wirklich beachtlich, mit wie viel Ideen, Verständnis und Feingefühl die Schülerinnen mit den älteren Damen in Kontakt getreten sind. Es gab während der Gespräche sehr viel Wertschätzung von beiden Seiten aus, viel Vertrauen und Nähe, die zugelassen wurde. Die Schülerinnen haben starke Frauen erlebt, die schwierige Lebensbedingungen meistern mussten.“ Allen Beteiligten täte es gut, dass ihre Arbeit öffentlich präsentiert werden könne und damit wahrnehmbar werde. „Es sind wertvolle Kontakte entstanden, die Bestand haben und in den Alltag ausstrahlen.“ 

„Wir sind einfach nur stolz dabei sein zu können – sowohl als Gesprächspartnerinnen für das Buch und die Ausstellung, als auch jetzt bei der Preisverleihung,“ zeigt sich Veronika Uhlmannsiek gemeinsam mit ihrer Tochter beeindruckt von der hohen Auszeichnung des Projektes. „Eigentlich habe ich mich mein Leben lang etwas geschämt dafür, dass ich so schwere und auch schmutzige Arbeit machen und in solch einfachen Verhältnissen leben musste. Mir tut es gut, dass wir nun solch eine große Anerkennung und Wertschätzung erfahren für das, was wir geleistet haben, und unser Leben in ein anderes Licht gerückt wird.“

„Die Akteure vom Netzwerk Jugendhaus Buer haben mit dem Buch ,Nachgekommen – Frauen in der Gastarbeitergeschichte‘ ein wichtiges Stück Heimatgeschichte dokumentiert“, fand Bürgermeister Reinhard Scholz anerkennende Worte. Besonders erfreut  zeigte sich der Verwaltungschef darüber, dass in das Buchprojekt bewusst junge Menschen einbezogen worden seien. Die Schülerinnen hätten über Wochen und Monate hinweg Zeitzeugen befragt, Quellen ausgewertet, Fotos gesammelt und die dabei gewonnenen Erkenntnisse in einer Publikation zusammengefasst, die als einzigartig zu bezeichnen sei. Für Reinhard Scholz stand fest: „Die jungen Akteure und alle übrigen Projektbeteiligten haben mit diesem Werk ein eindrucksvolles Engagement für Demokratie und Toleranz gezeigt.“

Die musikalische Begleitung der Preisverleihung begeisterte das Publikum. Das junge Ausnahmetalent Kareem Ghali bot auf der Gitarre zu Beginn die Prelude Nr. 1 von Heitor Villa-Lobos dar und später die Eigenkomposition „Nabadatu qalbi“ (arab. Schläge meines Herzens). Ghali, der 2015 aus Syrien nach Wuppertal kam, gewann den 2. Bundespreis bei „Jugend musiziert“ im Jahr 2018.

Das Stück kann angehört werden unter: https://www.youtube.com/watch?v=0rM3DSrbWms

Hintergrund

Am 23. Mai 2000 gründeten die Bundesministerien des Innern und der Justiz das Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt. Seit dem Jahr 2011 ist die Geschäftsstelle des Bündnisses für Demokratie und Toleranz Teil der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. 59 Initiativen und Projekte wurden 2018 für ihr vorbildliches und nachahmenswertes zivilgesellschaftliches Engagement für Demokratie und Toleranz als Preisträger ausgewählt. Die Preise sind mit 2.000 € bis 5.000 € dotiert. 

Die Projektgruppe


Doris Schröder Köpf, Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe und Schirmfrau der beiden Buch-Projekte, schickte umgehend herzliche Glückwünsche für diese beachtenswerte Leistung aus der Landeshauptstadt. Der Integrationsbeauftragte des Landkreises, Werner Hülsmann, nannte das Buch „ein ergreifendes, beispielgebendes Projekt, mit dem sich die Bueraner Dorfgemeinschaft ihrer eigenen Geschichte und Identität widmet.“

Dr. Susanne Tauss vom Landschaftsverband Osnabrücker Land e.V. sprach von einem „vorbildlichen Projekt, an dem die Geschichte von Migrantinnen partizipativ und wertschätzend ins Zentrum gerückt wird. Insbesondere die aktive Einbindung von Jugendlichen, die in diesem biografischen Vorhaben ihr eigenes Umfeld erkundeten, aber auch an der medialen Vermittlung beteiligt waren, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Gerne hat der Landschaftsverband Osnabrücker Land e. V. „Nachgekommen – Frauen in der Gastarbeitergeschichte“ gefördert.“

Das Projektteam:

Ursula Thöle-Ehlhardt (Projektleitung)

Annegret Tepe (AG-Leitung)

Schülerinnen:

Zekiye Azattemür, Tugba Bagsiz, Ceren Catal, Sarah Isabell Ekeler, Jule Saßenberg, Kristin Weber

 

Lukas Ehlhardt (Grafik, Gestaltung, Layout)